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 Prof. Reiner Schuhenn, Musikhochschule Köln

DIE ORGEL MIT DEM MAUSKLICK

- St. Rochus, Köln-Bickendorf

Auf den ersten Blick sieht sie ja ganz "normal" aus. Eben wie eine Orgel aus den späten Fünfzigern. "Nommaalll", wie der Kölner sagt - mit mindestens drei "L".

Die Orgel wurde ursprünglich um die Jahrhundertwende von der Firma Faust als zweimanualige romantisch disponierte Orgel für die evangelische Stadtkirche in Moers am Niederrhein erbaut. 1957 wurde das Instrument für die kriegsbeschädigte Kölner Pfarrkirche St. Rochus angekauft. Den Um- und Einbau leistete die Kölner Orgelbaufirma Peter. Bis 1979 wurde das Instrument schließlich während mehrerer Arbeitsphasen erneut umgebaut, von pneumatischer Kegellade auf elektrische Schleiflade umgesetzt, auf drei Manuale und insgesamt 40 Register mit 3019 klingenden Pfeifen erweitert.

Der in den 80er-Jahren stetig steigende Reparaturbedarf am Instrument hätte in einer finanziell betuchteren Gemeinde vielleicht zu einem Neubau geführt, in St. Rochus kam es allerdings dank der unkonventionell-innovativen Ideen der Kirchenmusiker vor Ort zu einer Komplettsanierung und einem technischen Umbau (ausgeführt durch die Firma Joh. Klais, Bonn).

Es erfolgte eine Überholung der z.T. über hundert Jahre alten Pfeifen und ein teilweiser Austausch verschlissener Materialien und Technikteile (Schweller, Tremulant, Laden-Elemente, elektrische Teile etc.).

Das alleine wäre nicht berichtenswert, geschehen derartige Renovierungen doch aller Orten. Besonders ist in St. Rochus die daran anschließende technische und elektronische Überarbeitung und Erweiterung.
Der Spieltisch wurde neu gefertigt mit dem Ziel größtmöglicher technischer Aufgeräumtheit, er erhielt Kombinationen als Freie Kombinationen (für den liturgischen Gebrauch) und gleichzeitig dazu noch Setzer (für die komplexeren, eher konzertanten Anforderungen), die üblichen doppelt angebrachten Plus- Schalter sowie eine Sequenzer-Schaltung mittels Fernbedienung.

Auch im Klang hielt die Elektronik Einzug; und spätestens ab hier ist die Handschrift von Kantor Wilfried Kaets (zugleich Regionalkantor für Köln) und seinem Kollegen Thomas Roß ablesbar: Die Orgel wurde erweitert um mehrere zusätzliche Klangfarben, sowohl künstliche (etwa der 32’) als auch gesampelte sind möglich. Daneben erweisen neue Koppeln dem Spieler ihren Dienst: Sub-, Super-Koppeln und „Aequallage ab“ dienen zur Umgehung von Transpositionen und zur Erzeugung „Messiaenscher“ Klangfarben, die ansonsten nicht denkbar wären.

Doch die eigentliche „Attraktion“ kommt noch: Es wurden mehrere Computersysteme angeschlossen. Die Aspekte dieses Anschlusses lassen sich in folgende Stichworte zusammenfassen:

  • Reversibel nutzbare plattformübergreifende (PC, Mac, Atari...) Midianlage als zuschaltbares System
  • Modifizierter synchronisierter Setzer
  • Echtzeitzugriff auf alle Parameter (z.B. Registerwechsel im Sekundentakt, Integration organaler und virtueller Klangfarben, Schweller, Manualzuweisung der Klangfarben etc.)
  • Aufnahme- /Abspielebene incl. entsprechender Editiereinheit
  • "Sequenzing" in Echtzeit (Aufnahme, Punch in, Cycle mode, Zuspielung externer Sequenzerdaten und MIDI-Files...)
  • integrierte Notendruckeditierung
  • Soundverwaltung und Klangdatenbank



Außerdem findet sich eine externe Konsole im Kirchenschiff (Masterkeyboard), von der aus die Orgel fernbedient werden kann. Und der Erweiterungsmöglichkeiten gibt es kein Ende (Steckplatz für weitere Expander, virtueller Klangraumprozessor etc.)

Und was hat man davon? Ist das nur Spielerei? Würde man all die Zusätze nicht integrativ betrachten, könnte man es tatsächlich als „Spielzeug“ abtun. Hier aber eröffnet sich eine erweiterte, konstruktive Ebene des Improvisierens und der Klangarbeit: Man kann mit der Orgel im Duett spielen, in vorgefertigte Patterns hineinimprovisieren – sei es mit echten und künstlichen Klängen, die Pfeifen geben abenteuerliche, kaum notierbare Rhythmen ab, das Ganze ist am Ende per Ausdruck nachspielbar oder per Speicherung abrufbar u.v.a.m.

Zugegeben, hinterfragen kann (und sollte) man das Ganze schon.
Und ein bisschen verrückt scheint es ja auch.

Doch das ist in St. Rochus noch nicht das einzig „Verrückte“.
Da gibt es eine hochmoderne Lautsprecheranlage, die man an vielen Stellen der Kirche mit weiteren Instrumenten (z.B. E-Piano für Kindergottesdienst; Mischpult für Instrumentalband beim Jugendchorkonzert) oder auch diversen Zuspielern (CD- Wechsler für dezente Raumbeschallung bei Ausstellungsprojekten in der geöffneten Kirche, Kinoprojektionsspur für Filmaufführungen u.v.a.m.) vernetzen kann. Das Mischpult steht übrigens in einem ausrangierten Beichtstuhl.

Kürzlich wurde ein professioneller 35mm-Kinoprojektor samt synchronisiertem Spulentisch und Schallschutzkabine auf der Orgelempore fest installiert - ein in Deutschland bislang einmaliges Projekt, mit dem sowohl Tonfilme als auch historische Stummfilme (diese sogar in reduzierter Originalgeschwindigkeit) mit Livemusik auf Großleinwand, natürlich mit Elektroseilzügen im Langhaus, präsentiert werden können.

Doch Wilfried Kaets, einer der innovativsten Kirchenmusiker seiner Generation, nutzt auch das nicht zu Spielereien: Da gibt es Klanginstallationen, Kunstnächte und vieles anderes mehr.

St. Rochus wird zur angesagten Kunstkirche für Ausgefallenes – und hat nicht zuletzt auch dadurch Zulauf und Nachwuchs.

Doch auch das ist bei Wilfried Kaets völlig normal. „Nommaalll“ – mit drei „L“.

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